Altar des Lebens Eine Meditationsskulptur für das PRANA-Zentrum Dresden

Dipl.Phil. Patricia Gulde

Seit 2004 finden im Pranazentrum Dresden regelmäßig Zwei Herz Meditationen statt. An 6 Tagen im Monat wird Arhatic Yoga praktiziert. Zum festen Ritual der Anwesenden gehörte nach den Körperübungen und inneren Reinigungen das Aufbauen und Schmücken eines kleinen Altars.

So unterschiedlich die spirituelle Praxis in den verschiedenen Religionen und geistigen Schulen auch sein mag – allen gemeinsam ist das Bestreben, der göttlichen Gegenwart an einem besonderen Ort Präsenz zu verleihen. Auf der Suche nach einer Altarform für unsere Arhatic Yoga Praxis, basierend auf den Lehren von Grandmaster Choa Kok Sui, reifte seit langem der Gedanke, eine Meditationsskulptur zu entwickeln, in welcher die Sinnhaftigkeit unseres Übens eine sichtbare Form annimmt.

Die Künstler

Glücklicherweise gehören zu unserem Prana-Team zwei Künstler, welche sich mit Hingabe und Begeisterung der Umsetzung dieser Idee annahmen. Michael Grasemann als Holzbildhauer und Spielplatzgestalter mit einem riesengroßen Fundus an außergewöhnlichen Hölzern und einem ebenso großen Herzen, gab uns die Möglichkeit geeignete Bäume für den Altar auszusuchen. Auch die holztechnische Bearbeitung lag in seinen Händen. Im Restaurierungsatelier von Thaddäus Gulde wurden dann jene Elemente des Altars in 24 Karat Naturgold gefasst, welche die Aussage der Baumskulptur unterstreichen. Zuvor wurde das gesamte Holz von Ihm mit einem wachshaltigen Hartöl konserviert und oberflächenversiegelt. Mittels dieser Technologie erhielten die Hölzer nicht nur ihre satinartig weiche Optik, sondern zugleich eine Verstärkung der natürlichen Farbkontraste innerhalb der verschiedenen Wuchsformen. Der Kerzenhalter ist eine Schmiedearbeit des Dresdner Kunstschmiedes und Metallgestalters Wolfram Ehnert. Die blaue Perle zwischen Stamm und Flamme fertigte die Keramikerin Susanne Schmidt für unseren Altar an. Holztechnisches Geschick und schwere Technik, verbunden mit kompositorischer Inspiration und handwerklichem Feingefühl haben ein außergewöhnliches Werk hervorgebracht, dessen Ausstrahlung dem Pranazentrum eine wundervolle Kraft verleiht. Der größte Künstler des Werkes indessen ist der Schöpfer selbst, denn die besonderen Formen der Baum-Skulptur sind gewachsen. Als erfürchtig suchender Künstler bekannte schon Dürer zu Beginn des 16.Jahrhunderts:“ Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie“.

Das besondere Holz

Das Robinienholz der 3 Meter hohen Altarskulptur stammt aus dem Priesnitzgrund der Dresdner Heide. Man sieht den ehrwürdigen Stämmen ein bewegtes Leben an. Sie mussten extremen Wettern und Erdstrahlungen Widerstand leisten, Verletzungen der Rinde, die durch Blitzeinschlag oder übergroße Hitze entstanden waren, heilen. So bildeten sich unteranderem jene interessanten Formen, die der Baumkenner als Maserknollen oder Überwallungen bezeichnet. Selbst die Bruchstelle des rechten Baumes ist authentisch. Nach dem Fällen wurde der Baum geschält und mit hohem Wasserdruck behandelt. Auf einem 300 Jahre alten dicken Eichen-Sockelstamm sind vier Stammsegmente einer Robinie befestigt, von denen das niedrigste im Vordergrund die Altarkerze trägt. Die bekrönende Flamme, ist ein allein vom Fluss Verzasca im Tessin geformtes Kastanienholz. Eine harmonische Rahmung am Boden aus Robinienholz unterstreicht die Würde der Baum-Skulptur und schafft zugleich eine Ihrem Bestimmungszweck als Altar angemessene Distanz. Robinien sind mit ihren traubenförmig herabhängenden Blütenständen und interessanten Wuchsformen nicht allein Zierpflanzen und robustes Nutzholz, welches nahezu Eigenschaften von Tropenholz besitzt, sie liefern auch Bienen und Schmetterlingen im Frühsommer Nektar in großer Fülle. In der Pflanzenheilkunde und auch in der Homöopathie wird die Robinie, auch Robinia pseudoacacia genannt, bei Verdauungsbeschwerden und Schmerzen im Bauchraum eingesetzt. Ihrer Baumbedeutung nach soll sie Menschen, die sich niedergeschlagen fühlen, aufrichten und das Selbstbewusstsein stärken.

Der Aufstellungsort

Einer alten Tradition folgend, hat unsere Altarskulptur ihren Platz im Osten des Saales eingenommen. Ex oriente lux – im Osten geht die Sonne auf; Vom lateinischen Wort oriens, dass so viel wie Osten oder Morgen bedeutet, ist die Himmelsrichtung des Sonnenaufgangs ein Symbol der Auferstehung. Seit dem frühen Mittelalter wurden Längsachse, Chorraum und Hauptaltar der Sakralbauten nach Osten ausgerichtet, was in Richtung Himmlisches Jerusalem oder Paradies weist. Noch heute sprechen wir von orientieren, wenn wir uns in einer Situation zurechtfinden wollen.

Die Namensgebung

Wir haben die Meditations-Skulptur „Altar des Lebens“ genannt. Abgeleitet vom Baum des Lebens, eines der universellsten Symbole, welcher die Synthese von Himmel, Erde und Wasser verkörpert, steht er als Ausdruck dynamischen Lebens in der Mitte, als Verbindung zwischen den Drei Welten. Bäume symbolisieren zugleich das weibliche Prinzip, den nährenden, schützenden, Zuflucht gewährenden und tragenden Aspekt der großen Mutter. Buddha wurde unter einem Baum die Erleuchtung zuteil, weswegen der Baum im Buddhismusals das Zeichen der großen Erweckung gilt. Als Baum der Weisheit verkörpert er das absolute Sein Buddhas. In der Kabbala symbolisiert der Baum jegliche Schöpfung Gottes in der manifesten Welt. Dem Baum des Lebens entströmt der Tau des Lichtes, durch den die Toten auferweckt werden. Der Sepiroth-Baum hat wie unser Altar eine rechte und eine linke Säule, die die Dualität verkörpern. Eine mittlere Säule stellt das Gleichgewicht zwischen Ihnen her und so die Einheit. Der Baum des Lebens verkörpert auch Anfang und Ende eines Zyklus und hat 12 Früchte (vgl. 12 Chakren). Ein weitverbreitetes Symbol ist der umgekehrte Baum, welcher die wechselseitige Wiederspiegelung der himmlischen und irdischen Welt verkörpert und zugleich andeutet, wie die Erkenntnis an ihre Wurzeln zurückgeführt wird. Da der Baum sowohl gute als auch schlechte Früchte tragen kann, wird er ebenso als Abbild des Menschen gesehen. Der Baum ist verwurzelt in der Tiefe der Erde, am Weltenzentrum, steht in Berührung mit den Wassern und wächst so in die Welt der Zeit, setzt Ringe an, die sein Alter verkünden. Seine Zweige reichen bis in den Himmel der Ewigkeit. Sowohl der Baum des Lebens als auch der Baum der Erkenntnis wachsen im Paradies. In der Mitte des Paradieses steht der Baum des Lebens und bedeutet Regeneration und Rückkehr zum uranfänglichen Zustand der Vollkommenheit. Er ist die kosmische Achse und Symbol der Einheit, über Gut und Böse hinausgehend, während der Baum der Erkenntnis in vielen Traditionen mit der Vorstellung vom ersten Menschenpaar und seinem Fall aus dem paradiesischen Zustand verbunden ist. Der Baum des Kreuzes Christi war symbolisch aus dem Baum der Erkenntnis gefertigt, auf das Heil und Leben an dem Baum erfüllt würden, durch den Sündenfall und Tod gekommen waren. Es ist schon fast ein kleines Wunder, dass sich aus dem linken Stamm unserer Altar-Skulptur eine figurale Form entwickelt hat, die an den Torso eines Kruzifixes erinnert, welcher sich vom Kreuz zu lösen beginnt. Auf der linken geöffneten Brustseite des Torsos weist eine vergoldete Öffnung auf den heiligen Raum des Herzens und damit auf die reine Liebe des Erlösers hin. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Parallele zu den sogenannten Triumphkreuzen in mittelalterlichen Sakralbauten, wo sie zwischen Kirchenschiff und Altarraum Aufstellung fanden. Der Begriff Triumphkreuz verweist auf den Triumph des auferstandenen Christus über den Tod. Spannend ist hier der Vergleich mit einem steinernen Triumphkreuz in einer spanischen Kapelle aus dem Jahr 1504. Dort handelt es sich um ein Baumkreuz, in welchem das Kreuz Jesu aus dem Baum der Erkenntnis emporwächst. Als Sinnbild der immer währenden Erneuerung steht der Baum auch für die Erneuerung nach dem Kreuztod Christi. In unserem Altar des Lebens windet sich die goldene Schlange an zwei Stämmen empor. Als Tier, welches periodisch seine Haut erneuert, steht sie für Leben und Auferstehung und ist ein Sinnbild für Jesus. Im Sündenfall am Baum der Erkenntnis wird sie zum Symbol für Versuchung und die Mächte des Bösen, die der Mensch überwinden muß. Wenn sie indessen den Baum des Lebens umwindet, verkörpert sie Weisheit und ist wohltätig. Hier wird sie zur Erweckerin der dynamischen Kraft, dem Genius alles Wachsenden. In der griechischen Mythologie ist sie als Attribut von Hermes, Asklepios, Hippokrates und Hygieia ein Zeichen für Weisheit, Erneuerung des Lebens, Auferstehung und Heilung. Die Schlange als Kundalini, jene verborgene Energie, weist auf das schlafende Sein, welches zur Erweckung gelangt. Das reine, 24karätige Naturgold, mit welchem die sinnnstiftenden Elemente der Altarskulptur herausgehoben wurden, steht als Sonnenmetall für Erleuchtung, Heiligkeit, Unzerstörbarkeit und Beständigkeit. Es ist jenes Metall, welches das Gleichgewicht aller metallischen Eingenschaften verkörpert. Bekrönt durch die goldene Flamme über der blauen Perle entfaltet sich das fließende Gold der Skulptur auch als Manifestation des Göttlichen oder der Seele. Es symbolisiert in diesem Zusammenhang spirituelle Energie, Transzendenz und Einssein. Das Gold als Zeichen des inneren Feuers kann auch jene ambivalente Energie verdeutlichen, die sowohl das Schöpferische wie das Zerstörerische zum Ausdruck bringt. Sie verkörpert Wahrheit und Wissen, ist aber auch Verzehrerin von Lüge, Ignoranz, Illusion, Tod und die Unreinheit verbrennende Kraft. Die Feuertaufe stellt die ursprüngliche Reinheit wieder her, in dem durch sie die Schlacke weggebrannt wird. Dies soll deutlich machen, dass man das Feuer passieren muß, um ins Paradies zu gelangen. Die Blaue Perle unter der goldenen Flamme ist eine mit ultramarinblauer Glasur überzogene Keramikkugel. Choa Kok Sui weihte uns in die Bedeutung der blauen Perle als Same des Bewusstseins oder dauerhaften mentalen Samen ein, welcher im Kronenchakra und in der Zirbeldrüse sitzt. Meditiert man über einen gewissen Zeitraum regelmäßig über die blaue Perle, wird man sich allmählich seines wahren Selbst bewusst und erlangt Zugang zu seiner höheren Buddha-Natur. Die blaue Perle wird auch als das „Juwel im goldenen Lotus“ verstanden. Während der linke Stamm des Baum-Altars den Weg der Erweckung, Erleuchtung und Erlösung verkörpert, versinnbildlicht der rechte abgebrochene Stamm die Vergänglichkeit allen irdischen Seins. Er ist das Memento Mori (Gedenke des Todes), gemahnt uns an die Endlichkeit unserer physischen Existenz und daran, daß wir die kostbare Zeit, die wir auf Erden weilen, nicht vergeuden dürfen. Der mittlere Stamm im Hintergrund stellt den Fluß des Lebens dar. Er ist Ausdruck des beständigen Wandels in der Welt. Zugleich deutet er auf die Schöpferkraft, wie sie aus ihrer nichtmanifesten Quelle in die manifeste Welt fließt. Die Flüsse des Paradieses bringen geistige Kraft und Nahrung. Will man Erleuchtung erlangen, so muß der Fluß des Lebens bis zurück an Seine Quelle verfolgt werden. Der Fluß symbolisiert gleichsam die Reinigung des Anbetenden. Die Maserknollen inmitten des Flusses im Baum-Altar deuten auf die Hindernisse im Leben und verweisen darauf, dass auch wir nicht vor Hindernissen stehen bleiben, sondern uns wie der Fluß um sie herumbewegen sollen. Der Fluß im mittleren Stamm verbindet die linke und die rechte Seite des Altars, vereint Leben und Sterben, Werden und Vergehen und erinnert uns daran, dass wir immer wieder die Seiten wechseln. So ist der Fluß des Lebens immer der eine und doch stets ein anderer. Als Träger der Altarkerze steht symbolisch der Schoß – die Mutter Erde, deren Hauptsymbol die Höhle ist. Der Schoß ist auch das Nichtmanifeste, welches das Manifeste hervorbringt. Das Licht der Altarkerze über dem Schoß von Mutter Erde birgt die Wahrheit, dass wir erst inkarnieren müssen, um zur Erleuchtung zu gelangen.

Als spirituelle Skulptur gibt der Altar nicht das Sichtbare wieder, sondern will sichtbar machen und zur Kontemplation anregen. Seine kraftvolle Ausstrahlung gibt den Meditationen und der Pranaheilungs-Praxis eine wundervolle Energie. Seine Präsenz im Prana-Zentrum erinnert uns stets an den Sinn und die Kraft hinter unserem Wirken. Der Maler Paul Klee bekannte:“ Die Kraft des Schöpferischen kann nicht genannt werden. Sie bleibt letzten Endes geheimnisvoll. Wir sind selbst geladen von dieser Kraft bis in unsere feinsten Teile. Wir können ihr Wesen nicht aussprechen, aber wir können dem Quell entgegengehen, soweit es eben geht.“

Am 2.Oktober 2015 weihten wir den Altar in Gegenwart von Master Sai anlässlich 15 Jahre Pranaheilung in Dresden mit einer Meditation ein.

Literatur:

J.C.Cooper: Lexikon alter Symbole Sachs, Badstübner, Neumann: Christliche Ikonographie Master Choa Kok Sui: Om Mani Padme Hum, Die blaue Perle im goldenen Lotus

Schätze der Sächsischen Naturheilkunde

Dipl.-Phil. Patricia Gulde

Das Bircher Müsli vom Weißen Hirsch

Wir schreiben das Jahr 1966. In einer schönen Villa mit Türmchen, inmitten des vornehmen Dresdner Viertels Blasewitz, direkt am Waldpark und den weiten Wiesen der Elbe sitzt eine Gruppe 3-6 Jähriger um einen Tisch. Die Kinder essen mehr oder weniger begeistert ihre Schälchen leer. „Es macht euch groß und stark!“ motiviert die Kindergärtnerin ihre Zöglinge. Ja, ich saß auch unter ihnen, ein bisschen zu schmächtig und blaß, in Gedanken schon wieder beim Klettern auf Bäume, Laubhütten bauen und Steine in den Fluß weitwerfen. Na klar, dazu braucht man Kraft in Armen und Beinen. In den Schälchen befand sich ein gestrichener Eßlöffel geschrotetes Getreide, welches am Abend zuvor mit Wasser eingeweicht und morgens mit Zitronensaft, Sahne, Apfel und zerkleinerten Nüssen verfeinert wurde.

Erfunden hatte diese Morgenspeise Dr. med. Heinrich Lahmann, welcher seit 1880 seine berühmten Sanatorien auf dem Weißen Hirsch, hoch auf den Dresdner Elbhängen am Heiderand betrieb. Unzählige Patienten, die als unheilbar krank galten, genasen während ihrer Kur durch seine damals noch als revolutionär geltenden Heilmethoden. Lahmann war ein Genie der sanften Medizin, ein Reformator auf dem Gebiet Ernährung, Körperpflege, Kleidung und der erste wissenschaftliche Diätetiker des 19.Jahrhunderts. In seiner, als modernster Naturheilklinik Europas anerkannten Wirkungsstätte wurden fast alle Krankheiten mit Wasser, Sonne, körperlicher Bewegung und Diät geheilt. „Wie ihr die Kranken so schonend verpflegt“, lobt der 30-jährige Schweizer Arzt Dr. Bircher Benner 1897 den nur 7 Jahre älteren Lahmann, „das ist wirklich vorbildlich. So macht es euch keiner nach. Wie eure Köche das wertvolle Kochwasser mit seinen Mineralsalzen retten, wie ihr geschickt die vegetarische Diät einsetzt, das ist alles sehr bemerkenswert.“ Bircher-Benner macht sich fleißig Notizen und wird später mit seinem Müsli weltberühmt.

Die Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie des Barons von Ardenne

In unmittelbarer Nachbarschaft des durch Krieg und Besatzung aufgelösten Lahmann Sanatoriums leuchtet die weiße Kugel eines Himmelsobservatoriums weit in den Elbraum hinein. Es steht auf dem Institutsgelände eines der letzten Universalgelehrten des 20.Jahrhunderts, Prof. Dr. Manfred Baron von Ardenne. Mehr als 300 Patente gehen auf den vielseitig forschenden Wissenschaftler zurück, so die erste Fernsehbildröhre oder das Raster-Elektronenmikroskop. Berühmt wurde der in Hamburg geborene Spross einer belgischen Adelsfamilie seit den 1970er Jahren durch seine Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie, mit der er sich selbst aus einer schweren gesundheitlichen Krise heraushalf. Ardenne: „Mit einer Methode, die wie so viele geniale Dinge verblüffend einfach ist. Man weiß ja heute, dass alle Funktionen im menschlichen Organismus, in den Zellen in den Geweben und in den Muskeln mit dem Verbrauch von Energie verbunden sind. Je größere Leistungsreserven im Organismus zur Verfügung stehen, desto besser können wir unsere körperlichen und geistigen Aufgaben erfüllen, Krisen überwinden. Mit zunehmendem Alter nimmt diese Leistungsreserve ab. Einfach gesagt: Wenn unsere Batterien leer sind, kann das zum Tod durch Erschöpfung der Leistungsreserve führen.“ Sauerstoff ist, wie wir wissen, das Elixier des Lebens und notwendig für die Energieproduktion im menschlichen Körper. Für beruflich sehr angespannt arbeitende Menschen oder Kranke, welche durch schwere Leiden nicht mehr selbst ausreichend körperlich aktiv sein können, entwickelte er seine Methode, die heute in 500 Sauerstoff-Mehrschritt-Therapiezentren in Europa die Zellkraftwerke, die Mitochondrien, von Tausenden Menschen zu neuer Energieproduktion anregt und damit Selbstheilungsprozesse und Kräftezuwachs initiiert.

Bitte ein „Bilz“! – Naturheilkunde aus Radebeul

15 Kilometer elbabwärts vom Weißen Hirsch wirkte seit den 1880er Jahren, inmitten der lieblichen Weinbaulandschaft Radebeuls der umtriebige Altmeister der Naturheilkunde, Erfinder der Sinalco-Brause (sine alcohole; ohne Alkohol) und Herausgeber des 3,5 Millionen mal gedruckten Gesundheitslexikons, Friedrich Eduard Bilz. So tönte es seit 1890 in Schankgärten und Gasthäusern fortan viel weniger: „Bitte ein Pils“ sondern immer mehr: „Bitte ein Bilz, wie das sich rasch verbreitende vitaminhaltige Erfrischungsgetränk als geflügeltes Wort im Volksmund auch genannt wurde. 1904 wurden bereits 25 Millionen Liter verkauft und weltweit vertrieben. Mit Sinalco war die erste internationale alkoholfreie Getränkemarke europäischen Ursprungs geschaffen.

Auf den noch feuchten Wiesen vor Bilz Schloß Lößnitz, seiner weithin berühmten Kuranstalt, sah man seit 1894 Damen mit geschürzten Röcken und Herren mit hochgeschlagenen Hosenbeinen barfuß durchs Gras laufen und merkwürdige Bewegungen vollführen. Barfußtreten, Heilfasten, Dampf-, Licht- und Sonnenbäder, Wasseranwendungen, zahlreiche physikalische Maßnahmen und Diäten ließen manch geplagten und von Ärzten vergeblich mit Arznei uns Skalpell behandelten Patienten wieder aufleben. Erstaunlicherweise findet man in dem seit 1888 aufgelegten Bestseller „Bilz-das neue Naturheilverfahren“ neben der Erörterung vielfältigster naturgemäßer Anwendungen einen umfangreichen Abschnitt, welcher sich der energetischen Heilweise des „Magnetisierens“ widmet.

Nach dem sich bereits 100 Jahre zuvor der Wiener Arzt Friedrich Anton Meßmer (1734-1815) den jahrtausendealten Praktiken der energetischen Einwirkung auf das menschliche Feld mit wissenschaftlichem Interesse zuwandte, rückte diese Heilweise trotz Anfeindungen und Verboten in den Fokus der forschenden Ärzte. Die Berliner Universität eröffnete einen Lehrstuhl für Magnetismus und gab ihre umfangreichen Forschungen zu dieser Thematik 1823 in einem 12 Bändigen Werk unter maßgeblicher Mitarbeit des berühmten Arztes Christoph Wilhelm Hufeland heraus.

In den im Bilz Gesundheitslexikon detailliert beschriebenen praktischen Anwendungsweisen und Einsatzmöglichkeiten des magnetischen Heilens lassen sich zahlreiche interessante Parallelen zur Pranaheilung nach GMCKS finden. Bilz betont den besonderen Rang des Einsatzes der Hände, „als augenscheinlich sichtbare Träger der odisch-biomagnetischen Einwirkung.“ Er beschreibt das berührungsfreie Streichen zur Entfernung kranker Stoffe und betont, dass der Strich nach Aussen erfolgen muss und der Magnetiseur Acht geben soll, diese nicht auf sich zu ziehen. Weiter lesen wir, dass“ nur ein moralisch reiner und harmonisch gestimmter Magnetiseur“ Diese Heilweise ausführen darf.“ Anstatt die Hand aufzulegen, kann sie in einiger Entfernung gehalten werden, oder die Fingerspitzen werden einige Zeit lang genähert und dann ruhig in Richtung des Striches abgezogen, als ob man die Krankheit herausscharren wolle.“ Bemerkenswerte Referenzen von Magnetiseuren sind aufgeführt die auch über Häufigkeit und Dauer von energetischen Behandlungen Auskunft geben. Die angeführten Heiler verfügten über “ langjährige Übung und Praxis, begleitet von einem wahren Gottvertrauen und dem festen Willen, ihren Mitmenschen zu helfen.“ Darüber hinaus wird auf die wohltuende Wirkung von magnetisiertem Wasser, Bädern, Umschlägen und magnetisierter Kohle eingegangen. Bilz lässt ferner keinen Zweifel, dass die magnetische Heilweise, die Heilkunst der Zukunft sei.

Homöopathie – ein Welterfolg aus Meißen

Nur wenig weiter elbabwärts von Radebeul kam am 11. April 1755 Samuel Hahnemann als Sohn eines Porzellanmalers in Meißen auf die Welt. Durch persönliche Protektion des sächsischen Kurfürsten konnte der hochbegabte Jüngling ab dem 15.Lebensjahr die Fürstenschule Sankt Afra besuchen. Mit 20 Jahren und nur 20 Talern in der Tasche studierte Hahnemann fünf Jahre später an der Universität Leipzig. Dürftig und verknöchert erschien ihm hier die Medizin. Ein Krankenhaus, an dem die graue Theorie praktisch erprobt wurde, gab es für die Studierenden nicht. Aus diesem Grund begab sich Hahnemann, auf der Suche nach neuem Wissen, zwei Jahre später nach Wien, wo er Gelegenheit hatte in der Praxis eines Arztes und edlen Gönners wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Zwar wurde Hahnemann 1779 an der Universität zu Erlangen Doktor der Medizin, doch sein eigentliches Studium sollte erst beginnen. Als reisender Arzt ist er immer wieder vom Gebaren der Ärzte und Apotheker schockiert. In der Residenz Dresden fordert er aufs Schärfste ein Verbot des Arsenik-Verkaufs und machte sich überall in der Zunft Feinde. „Natürlich“, so erklärt Hahnemann seiner Frau, „wäre es das Beste, die Grundursachen der Krankheiten hinwegzunehmen. Bisher wurde immer versucht, Entgegengesetztes durch Entgegengesetztes zu heilen. Verstopfung mit Abführmitteln, Blutwallungen durch Aderlaß, saures Aufstoßen durch Alkalien, chronische Schmerzen mit Opium. Das lindert zwar, doch es schadet umso mehr, je länger es angewendet wird“. Hahnemann vermerkt zudem, dass Arzneigemische und viele Therapien gleichzeitig kaum Resultate erbringen. Immer wieder prüft er Arzneien am eigenen gesunden Körper und an seiner Familie. 1796 kommt Hahnemann nach vielen Experimenten die Erleuchtung: Ein wirklich wirksames Arzneimittel muss im Körper eine eigene Art von Krankheit erregen, so wie der Körper bestimmte Symptome als Heilreaktion hervorruft. Um eine Krankheit zu heilen, wende man also dasjenige Mittel an, welches eine ähnliche künstliche Krankheit erregt! Similia, similibus- Ähnliches mit Ähnlichem. Vom Ähnlichkeits-Prinzip ist es nicht mehr weit zum Begriff „Homöopathie“, der sich aus homoios (ähnlich) und Pathos (Krankheit) zusammensetzt. Einen weiteren wichtigen Zusammenhang entdeckt Hahnemann: Die möglichst kleinste Gabe ist die Wirksamste. Was hier wirkt, ist nicht mehr die Substanz an sich, sondern ihre feinstoffliche Information! Zu seiner Zeit, wie zuweilen auch noch heute, wird an der Wirksamkeit der Homöopathie gezweifelt, geholfen hat sie indessen seit 200 Jahren Millionen Menschen.

Das Reibesitzbad – ein Heilwunder aus Leipzig

Erstaunliche Sofortwirkungen erlebt der Anwender des Kuhneschen Reibesitzbades, sei es um einen Infekt zu lindern oder Entzündungen, Kopfweh, Frauenleiden, Ausschläge u.a. zum Abklingen zu bringen. Der sächsische Naturheilkundler Louis Kuhne fasste seine praktischen Erfahrungen, die er im eigenen „Internationalen Etablissement für arzneilose und operationslose Heilkunst“ am Leipziger Floßplatz machte, in seinem 1890 erstmals herausgegebenen Buch „Die neue Heilwissenschaft oder die Lehre von der Einheit der Krankheiten – ein Lehrbuch und Ratgeber für Gesunde und Kranke“ zusammen. Es erscheint in mehr als 20 Sprachen, sogar Telugu, Hindustani und Tamil sind darunter vertreten. Haben doch mit seiner Methode zahlreiche belegte Fälle von Heilung schwer an Lepra Erkrankter stattgefunden. Das vor über 120 Jahren in der Messestadt bekannt gemachte Reibesitzbad hat auch mir schon manches Mal kostbare Dienste erwiesen, wenn eine Erkältung oder heftige Kopfschmerzen einen Vortrag oder Seminar zu gefährden drohten. Man nehme hierzu eine möglichst große, möglichst 30 Liter fassende, am besten viereckige Waschschüssel , befülle sie mit 10 – 15 Grad kaltem Wasser und legen ein Brett zum Draufsetzten darüber. Das Badezimmer sollte gut geheizt, der Körper bekleidet, die Füße warm sein. Man setzte sich mit freiem Unterleib auf das Brett, tauche immer wieder ein Waschtuch oder Leinen in das kalte Wasser und reibe den Bereich um die Geschlechtsteile sanft ab. Je kälter das Wasser, umso besser die Wirkung! Das Bad kann von 10 – 60 Minuten dauern. Man kann die Dauer auch bei jeder Anwendung etwas steigern. Hinterher fühlt man sich wie von innen aufgeräumt.“ Manchem wird es vielleicht unerklärlich dünken“, erklärt Kuhne in seinem Buch, weshalb gerade die Schamgegend und kein anderer Bereich für diese Bäder ausgewählt ist. „Doch an keiner anderen Stelle des Körpers laufen so viele Enden der wichtigsten Nerven des Körpers zusammen. Es sind dies besonders die Ausläufer vieler Rückenmarksnerven und des Nervus Sympathicus, die durch ihren Zusammenhang mit dem Gehirn eine Beeinflussung des gesamten Körpers ermöglichen.“ Nur an den Geschlechtsteilen sei das ganze Nervensystem beeinflussbar. Hier ist, wie wir wissen, die Wurzel des Lebensbaumes. Durch kalte Waschungen findet nun nicht nur eine Verringerung der inneren krankhaften Hitze, sondern eine sehr erhebliche Stärkung der Nerven statt. Die Lebenskraft des ganzen Körpers, auch des kleinsten Teils wird in hohem Maße angefacht. Durch das Reibesitzbad werden einerseits die Krankheiten abgeleitet auf der anderen Seite wird die Lebenskraft im Körper wieder erhöht.

Sächsische Naturheilkunde und Prana im Alltag

Wenn wir am zeitigen Morgen barfuß das Haus verlassen, um durch den Park zum See zu gehen, unsere Körper- und Atemübungen und anschließend eine kleine Meditation unter alten Eichen zu praktizieren, können wir nach einer guten Stunde erfrischt und aufgeladen unser Tagewerk beginnen. Gerade über die feinen Nervenenden an den Fußsohlen, es sind über 1000 pro cm2, ziehen wir große Mengen an frischem Erdprana ein, stimulieren über die Reflexzonen gleichzeitig unseren ganzen Körper und leiten verbrauchte Stoffe aus. Im feuchten Gras ist die Leitfähigkeit noch um ein Vielfaches erhöht und der Effekt entsprechend stärker. Scann-Ergebnisse sprechen Bände! Dass Schmerz vor allem auch Energiemangel ist, zeigt sich an folgendem Phänomen: Auf dem Hinweg spüren wir die Steinchen und Unebenheiten manchmal etwas schmerzhaft an unseren Füßen. Nach Körperübungen und Meditation schweben wir auf dem Rückweg förmlich darüber hinweg!

Luft-, Sonnen-, Baumprana und unsere gefiederten Freunde, die Meisen und Kleiber, die sich in Erwartung von ein paar Nüsschen schon mal während der Meditation auf uns niederlassen, geben uns jeden Morgen das Gefühl mit allem verbunden zu sein. Es war die Prana-Heilung, die unser Interesse für die Schätze vor der eigenen Haustür neu geweckt hat.

Quellen:

F. E. Bilz; Das Neue Naturheilverfahren, Leipzig 1894
L. Kuhne; Die neue Heilwissenschaft; Leipzig 1899 J.
Helfricht; Tatsachen: Erfolgsrezepte sächsischer Naturheiler; Taucha 2004

Wenn die Seele zu Fuß geht Der Pilgerweg beginnt vor deiner Tür

Der Pilgerweg beginnt vor deiner Tür

„Du musst nicht über Meere reisen, musst keine Wolken durchstoßen und musst nicht die Alpen überqueren. Der Weg der dir gezeigt wird, ist nicht weit. Du musst deinem Gott nur bis zu dir selbst entgegengehen.“ Bernhard von Clairvaux

Jahr für Jahr gehen tausende von Pilgern hunderte Kilometer auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Sowenig man Spiritualität, das zunehmendes Bewusstsein für eine achtsame Lebensweise oder Fasten als Modetrend bezeichnen kann, ist auch der immer stärker werdende Pilgerstrom mehr als nur eine temporäre Erscheinung. Den Jakobsweg an sich gibt es gar nicht- oder nur als abstrakten geographischen Begriff. Was zählt, ist der jeweilige Mensch, der sich auf das Abenteuer Jakobsweg einlässt und ganz persönliche Motivationen und Erfahrungen mitbringt. Pilgerwege durchziehen die ganze Welt, Pilgertraditionen kennt jede große Religion. In unserem abendländischen Kulturkreis war das Pilgern ein fester Bestandteil spätmittelalterlicher Alltagsfrömmigkeit.

Pilgermotive

Man pilgerte im Mittelalter zum eigenen Seelenheil, zur Heiligenverehrung, zur Buße und Reue, in der Hoffnung auf wunderbare Heilung, zur Erfüllung eines Gelübdes, als gerichtlich verhängte Strafwallfahrt, aus Abenteuerlust, als Händler und Handwerker oder aus Staatsräson für Könige und Staatsmänner. Manche Pilgermotive des Mittelalters haben heute kaum noch Relevanz, andere sind hinzugekommen, einige sind zeitloser Natur. Mit dem Einzug der Reformation und der heftigen Kritik Luthers am Pilgerwesen endete die Epoche der frommen Mobilität. Auch in katholisch verbliebenem Gebieten gab es keine Pilgerfahrten mehr.

In unserer schnelllebigen, konsum- und mediengesättigten, von Rastlosigkeit geprägten Zeit erfährt das Pilgern im Streben nach Entschleunigung, Sinnsuche, Spiritualität im Alltag, einem friedlichen Miteinander der Kulturen, Einfachheit und persönlicher Freiheit eine Renaissance.

Vom Ursprung des Jakobsweges

Der Pilger- auch Pilgrim, Peregrino oder Pelegrinus genannt, bedeutet so viel wie Fremder oder Wanderer. Neben Jerusalem und Rom wurde ab dem 9./10.Jahrhundert Santiago de Compostela der bedeutendste Wallfahrtsort der christlichen Welt. Im Jahr 813 wurde das Grab des Apostels Jakobus entdeckt. Damit begann die Geschichte der Jakobus-Pilgerfahrten und der Stadt Santiago de Compostela -„Sankt Jakob auf dem Sternenfeld“.

Außer dem Grab des Heiligen Petrus in Rom hat kein anderes Apostelgrab diese religiöse, kunst- und kulturgeschichtliche Bedeutung erlangt, wie jenes des Heiligen Jakobus, der einst Fischer in Galiläa war. Seine besondere Rolle unter den Aposteln und seine Nähe zu Jesus wird u.a. im Geschehen am Ölberg im Garten Gethsemane deutlich, bei der allein Petrus, Johannes und Jakobus dem betenden Jesus beistanden. Jakobus predigte auf der iberischen Halbinsel. Im Jahr 42 wurde Jakobus unter Herodes in Jerusalem enthauptet. Nach seinem Märtyrertod wurde der Leichnam mit einem Schiff zum heutigen Padron überführt und trat von dort die Reise nach Santiago an, jener Stadt, die durch die Grablege von St. Jakobus gegründet wurde. Neben der Muschel sind Pilgerstab mit angehängter Trinkflasche, Hut und Umhang Attribute des Heiligen Jakobs. Die Jakobsmuschel diente nicht nur als Erkennungsmerkmal der Pilger, ihren praktischen Nutzen als Trinkschale hatten die Reisenden bald entdeckt und befestigten sie an ihrer Kleidung. Noch heute weist sie als Markierung an Bäumen, Straßenschildern und Mauern dem Pilger den Weg.

Angeregt durch glücklich heimgekehrte Pilger in der Familie, einen Pilgerführer durch Mitteldeutschland und den humorvoll-tiefsinnigen Film „St. Jaques – Pilgern auf Französisch“ gehen auch wir seit 2009 jedes Jahr auf unseren Jakobsweg.

Erfahrungen des Pilgerns

Das Gehen

Mit dem Gehen bringen wir häufig grundlegende menschliche Erfahrungen zum Ausdruck. So sagen wir etwa: Es geht wieder. Ich bin zu weit gegangen Ich schlage einen neuen Weg ein. Wie geht es? Gehen ist wohl die eindrücklichste Erfahrung jedes Kindes, das die haltende Hand loslässt, die ersten eigenen Schritte geht und damit das Erlebnis persönlicher Freiheit wahrnimmt.

Im Gehen liegt auch beim Pilgern der Schlüssel zur Dimension der eigenen Körpererfahrung. Mehr als die Hälfte unserer Körperlänge, von den Hüften bis zu den Zehen ist ausschließlich für die Tätigkeit des Gehens geschaffen. Unser aufrechter Gang ist Ausdruck und Symbol des Menschseins. Der Ausspruch „Es ginge vieles besser, wenn man mehr ginge…“ weist auf das neuzeitliche, unserer Mobilität geschuldete Defizit des Gehens, der natürlichsten Form menschlicher Bewegung hin. So sieht man allerorten Menschen joggen, um dieses Defizit im Schnelldurchgang auszugleichen. Dies ist jedoch keine natürliche Form ausdauernden Bewegens, sondern eher eine Jagd- und Fluchtfunktion. Wer längere Zeit auf dem Jakobsweg ist, übt das Gehen wieder ein, für das der Mensch eigentlich bestimmt ist und entdeckt so seinen Körper neu. Auch wenn sich vielleicht der laufentwöhnte Pilger anfänglich unter Schmerzen an die natürliche Tätigkeit des stundenlangen Gehens gewöhnen muss. Das kontinuierliche Fortschreiten der Beine, das Pulsieren des Herzschlags und das regelmäßige Fließen des Atems spielen sich zu einem Rhythmus ein, in dem wir uns als heiler erfahren. Der Körper kommt immer mehr ins Gleichgewicht aus Geben und Nehmen. Eine wunderschöne Nachwirkung des Pilgerns ist, dass man auch im Alltag wieder viel selbstverständlicher längere Distanzen zu Fuß geht und häufiger auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Auto verzichtet.

Sorgenfreiheit und Langsamkeit

Glücklich sein will gelernt sein! Auf dem Pilgerweg Erfüllung und Glück zu finden bedeutet, sich wirklich ganz auf den Weg einzulassen, alles was dir begegnet ohne Hast und mit allen Sinnen aufzunehmen. Es bedeutet auch, es einfach Abend werden zu lassen, wenn man nach langem Gehen in der Herberge angekommen ist. Du schaust in Ruhe dem Sonnenuntergang zu, hast nichts mehr zu erledigen, musst nichts mehr tun, außer da zu sein wo du bist, dich zu stärken, auszuruhen, den Tag mit einer Meditation oder einem Dankesgebet zu beenden. Einen Urlaub empfinde ich anders als das Pilgern, auch wenn ich in diesem intensive Natureindrücke aufnehme und große Strecken zu Fuß unterwegs bin. Die Kontinuität und Intensität des Ankommens und Loslassens beim Pilgern, die inneren und äußeren Bilder, die ich in stiller Kontemplation aufnehme, prägen jeden einzelnen Tag tief in meinem Inneren ein. Während der Pilgerreise verschwinden innere Unruhe, Begrenzungen, Termindruck und Pflichtgefühl. Das Pilgern erleichtert eine sorglose Haltung. Alles fügt sich auf selbstverständliche Weise.

Einfachheit

In dem Moment wo du losgehst oder, wenn du von einem anderen Ausgangspunkt startest, aus dem Flugzeug oder Zug steigst, wird dein Leben radikal einfach. Auf dem Rücken ein überlegt gepackter Rucksack, dessen Gewicht idealerweise nicht mehr als 10% deines Körpergewichtes auf die Waage bringen sollte, in den alles hineinpasst, was du wirklich zum Überleben brauchst. Auch deine tägliche Aufgabe ist einfach: gehen, essen, beten, schlafen…Der Tagesablauf ist klar geordnet. Die gewollte äußere Beschränkung bringt großen inneren Reichtum zum Vorschein, macht dich leicht und glücklich. Einfachheit erleichtert das Leben sehr. Mit der Zeit kannst du innerlich immer mehr loslassen: Gespräche, Gedanken, Ablenkung, Zerstreuung, Ansprüche an ein Quartier. Im Loslassen entsteht Raum für Neues und Wesentliches. Manchmal gehst du durch Landschaften, Orte und Straßen, die verlassen oder traurig auf dich wirken. Doch kurz darauf wird deine Seele von einem Lächeln aus einem Fenster, einer neugierig blickenden Katze oder einem murmelnden Bach am Dorfrand berührt und aufgerichtet. Köstlich und einfach ist auch das Pilgermahl unterwegs – Knäckebrot, Avocado, frische Kräuter von der Wiese, Nüsse, ein wenig Obst und Gemüse. Der Pilger kehrt erst am Abend ein oder kocht in der Herberge ein schlichtes Mahl, dessen Zutaten von unterwegs mitgenommen werden. Als Pilger lernt man auch im Alltag und auf Reisen mit immer weniger Dingen zurechtzukommen.

Dankbarkeit

Dankbarkeit ist dein ständiger Begleiter auf dem Weg. Dankbar bist du für eine Bank oder ein weiches Moospolster, wenn dein Körper sich nach einer längeren Distanz ausruhen möchte. Dankbar bist du für manche Köstlichkeit am Wegesrand, wie saftige Kräuter oder Kirschen. Dankbar kühlst du deine Beine oder gleich den ganzen Körper in einem See und dankbar füllst du deine Trinkflasche an einer erfrischenden Quelle. Dankbarkeit empfindest du natürlich ganz besonders, wenn du am Abend von deinen Gastgebern mit einem extra für dich zubereiteten vegetarischen Mahl empfangen wirst und man sich gegenseitig eine Lebensgeschichte erzählt. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue und führet mich zu frischem Wasser. Er erquicket meine Seele und führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte in finsterem Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir…“ Psalm 23

Offenheit und Vertrauen

Du verlässt beim Pilgern den schützenden Raum des Alltags, all dessen, was dir gewiss ist. Du tauschst dein vertrautes Umfeld, deine Behaglichkeit gegen unbekannte Wege und Umwege, Wind und Wetter. Du musst dich auf die Umstände einstellen, selbst gesetzte Begrenzungen überwinden. Je offener du bist, umso mehr Erfahrungen jenseits des Gewohnten machst du. Offenheit verwandelt dich.

Begegnung und Gemeinschaft

Wenn du dich auf den Weg machst und bereit bist, dich innerlich und äußerlich berühren zu lassen, wenn du deine Sinne feiner stellst und im Gewöhnlichen das Wunderbare zu sehen beginnst, begegnest du dir und deiner Umgebung auf einer neuen Verständnisebene. Die Begegnung mit deinem Pilgerbruder oder deiner Pilgerschwester ist eine Zeit gegenseitiger Ermutigung, des Verständnisses, der miteinander geteilten inneren Ruhe. Du lässt dich auf andere Lebensformen und Kulturen ein, wenn du dich nicht in deine gewohnte Komfortzone zurückziehst. Du kommst am Abend an und spürst, dass du willkommen bist. Manchmal bekommst du sogar einen Wegesegen von deinen Quartiergebern.

Herbergen

So verschieden die Landschaften und Orte sind, durch die der Pilger kommt, so abwechslungsreich und teilweise ungewöhnlich sind auch die Unterkünfte. Auf den seit einigen Jahren wieder belebten Pilgerwegen in Mitteldeutschland erlebten wir neben gut ausgestatteten Zimmern in Diakonischen Einrichtungen auch Gemeinderäume, in denen die Möglichkeit bestand, seinen Schlafsack auf bereitgestellte Matratzen zu legen und auch Kochgelegenheiten zu nutzen. Von Jahr zu Jahr zunehmend, gibt es auch in Deutschland extra eingerichtete Pilgerherbergen, manchmal von der Jakobusgesellschaft initiiert, ein anderes Mal von den Gemeinden eingerichtet, deren Einwohner sich über die Wahrnehmung und Wertschätzung ihres Ortes als Pilgerstation freuen. Nicht zu vergessen sind die fürsorglichen Herbergseltern, die gern ein leergezogenes Kinderzimmer als Unterkunft bereitstellen. Es kommt auch vor, dass man auf Pensionen oder Ferienwohnungen ausweichen muss. Groß ist die Freude, wenn der Pilgerweg bei Pranafreunden vorbeiführt, wo man zwischendurch mal ein Stück „zu Hause“ genießen darf.

Ungewöhnliche Nachtlager begegneten uns in einer als Landkino eingerichteten Scheune, einem Pilgerquartier auf einer Orgelempore mit laut rasselndem Kirchenuhrwerk zur Nacht oder auf den Brettern einer kleinen Vorstadtbühne.

Auf dem „großen Weg“ nach Santiago finden sich in den professionell organisierten Herbergen am Abend Pilger aus vielen Ländern ein. In der Regel nehmen die Pilger viel Rücksicht aufeinander. Alle sind gleichermaßen müde, gehen nicht zu spät schlafen und stehen in aller Frühe auf. Wer einem Wettlaufen um die begehrten Betten entgehen möchte, dem sei der wesentlich ruhigere Caminho Portugues empfohlen.

Spiritualität

Oft werde ich gefragt, was denn ausser dem Ziel des Weges der Unterschied zwischen Wandern und Pilgern sei. Es ist nicht die Länge deines Weges, nicht das Gewicht auf deinem Rücken, nicht der Stempel in deinem Pilgerausweis, es ist das, was du ganz persönlich daraus machst.

Spiritualität ist für den Pilger nichts Aufgesetztes, kein Etikett oder schmückendes Beiwerk. Deine Spiritualität wird genährt aus deiner inneren Ruhe, deiner Offenheit, deiner Selbstdisziplin, deiner Fähigkeit loszulassen und dich ganz auf den Weg mit seinen Schönheiten und Widrigkeiten einzulassen, durch die gelebte Verbundenheit mit allem was dir begegnet wie auch der Andacht in einer Kapelle oder in freier Natur. Du betest sozusagen mit deinen Füssen, deinem Rücken, deinem Atem. Deine Füße und dein Rücken mögen dabei bisweilen schmerzen, deine Seele befindet sich jedoch auf einer Kur. 

Dipl.Phil. Patricia Gulde